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Hans-Christian Herrmann: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft. Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955, Saarbrücken (Saarbrücker Druckerei und Verlag) 1996, 584 S. (=Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Bd. 28), ISBN: 3-930843-05-6.

Zur Landtagswahl 1952 warb die CVP mit „Im Saarland lebt sich’s wirklich gut, drum sei am Wahltag auf der Hut“. Dieser Slogan deutet schon an, in den Jahren der Wirtschafts- und Währungsunion des Saarlandes mit Frankreich fungierte die Sozialpolitik als ein politisches Instrument, das die Akzeptanz und Identifikation der Saarländer mit ihrer Sondersituation erhöhen und nationale Identifikationsmuster abschwächen sollte. Die französische Seite konzedierte dabei der Regierung Hoffmann/Kirn einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Die Saarpolitiker setzten die für Arbeitnehmer jeweils vorteilhaftesten Regelungen der deutschen und französischen Sozialpolitik durch. Das bedeutete eine gegenüber der Bundesrepublik wesentlich höhere Kriegsopferversorgung, seinerzeit ein politisch relevantes Thema. Zudem gab es im katholischen Saarland in Anlehnung an das französische Familienzulagensystem sehr hohe Leistungen für Familien. Im Unterschied zu Frankreich wurden sie bereits bei der Geburt des ersten Kindes gewährt. In der Rentenversicherung wurden Angestellte und Arbeiter gleichgestellt. Dies galt auch für den Altrentenbestand.

Der Sozialstaat wurde speziell auf die Bevölkerungsstruktur zugeschnitten und berücksichtigte dabei vor allem die Bedürfnisse der Berg- und Hüttenarbeiter. Selbständige und andere bürgerliche Schichten wurden durch eine hohe Beitragsbemessungsgrenze in die Sozialversicherung eingebunden bzw. belastet.

Bei der „kleinen Wiedervereinigung“ 1957 sollte es zu einem heftigen Streit zwischen Bonn und Saarbrücken um den so genannten „sozialen Besitzstand“ kommen. Die Gegner des Saar-Statuts wie der DPS-Vorsitzende Heinrich Schneider profilierten sich nun als Bewahrer sozialpolitischer Sonderregelungen, obwohl sie im Abstimmungskampf den Sozialstaat als Schuldenstaat bezeichnet hatten. Dieses Verhalten bezeichnete die Bonner Ministerialbürokratie als „Rosinentheorie“, denn neben einigen Verschlechterungen fand das Saarland auch Anschluss an die fortschrittliche Mitbestimmungsgesetzgebung. Den Gewerkschaften eröffneten sich nun große Partizipationsmöglichkeiten, die ihnen vorher vor allem durch Frankreichs Veto verwehrt worden waren.

Denn so sehr die französische Seite zu teuren sozialpolitischen Zugeständnissen bereit gewesen war, so wenig hatte sie sich der Tarifvertragsautonomie und einer gewerkschaftlichen Mitbestimmung geöffnet. Damit stärkte sie die Kreise innerhalb der saarländischen Gewerkschaften, die zurück zu Deutschland wollten. Dabei gab es gerade in den Reihen der christlichen Gewerkschaften breite Kräfte, die sich mit der Regierung von Johannes Hoffmann identifizierten. Die Zulassung von christlichen Gewerkschaften im Mai 1947 und damit das Durchbrechen des Prinzips der Einheitsgewerkschaft gingen wesentlich auf die CVP und ihre Kontakte zu christlichen Gewerkschaftlern in Frankreich zurück. Der DGB sah 1957 die Saar als „trojanisches Pferd“, gab es doch in der Bundesrepublik christdemokratische Kreise, die angesichts der politisch stark linkslastigen Ausrichtung des DGB ein Gegengewicht von christlichen Gewerkschaften aufbauen wollten. Mit Geschick beugte der DGB dem vor, in dem er das Thema der Wahrung des sozialen Besitzstandes aufgriff und der Unzufriedenheit Stimme und Gewicht verlieh.

Die Studie basiert auf der Auswertung von 22 deutschen und fünf französischen Archiven, sowie zahlreichen Zeitzeugeninterviews.


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