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Rainer Möhler: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952, Mainz (v. Hase & Koehler) 1992, XIV und 450 S. (=Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 17), 30 EUR, ISBN 3-7758-1273-3.

Der französische Historiker Maurice Baumont, Entnazifizierungsbeauftragter der Militärregierung in Baden-Baden, verglich im Sommer 1945 die Bedeutung der Entnazifizierung für den langfristigen Erfolg der Besatzungspolitik mit der Frage der Kohle für die Wirtschaftspolitik. Auch für den Leiter der Militärregierung, Emile Laffon, stand fest, dass Frankreich eine historische Mission zu erfüllen hatte: die Schaffung eines demokratischen, friedfertigen Deutschlands. Die Entnazifizierung sollte dafür die personellen Voraussetzungen schaffen und zugleich den deutschen antifaschistischen Kräften ermöglichen, Verantwortung zu übernehmen. In diesem Buch wird der Verlauf der Entnazifizierung von der Planung und konkreten Ausgestaltung durch die Militärregierung bis zur Durchführung in den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland untersucht. Von zentralem Interesse ist dabei der Stellenwert und die Funktion der Entnazifizierung im Rahmen der allgemeinen Besatzungspolitik. Laffon hatte von der Pariser Regierung volle Handlungsfreiheit erhalten, als er im Spätsommer 1945 die Prinzipien der künftigen französischen Säuberungspolitik festlegte. Im Alliierten Kontrollrat in Berlin versuchte die Militärregierung gegenüber den anderen Alliierten, das eigene Entnazifizierungsmodell durchzusetzen. Die französische Dezentralisierungspolitik bewirkte, dass sich die Entnazifizierung trotz zentraler Rahmenlinien in den Ländern unterschiedlich entwickelte. Im Saarland kamen Ausweisungen „unerwünschter Personen“ und ehemaliger NS-Aktivisten als weitere Besonderheit hinzu. Auch unter den Bedingungen der französischen Besatzungspolitik, die durch eine enge Kontrolle der deutschen Verwaltung gekennzeichnet war, gab es Handlungsspielräume für eine deutsche Politik. Diese wurden in einzelnen Ländern unterschiedlich genutzt. Vor allem in Hessen-Pfalz konnte die deutsche Verwaltung die Entnazifizierung in ihrem Sinne gestalten.

Die französische Entnazifizierungspolitik der Jahre 1945 bis 1947 stellte eine Alternative zur amerikanischen Politik dar, da sie realistischer an das Problem der politischen Vergangenheitsbewältigung heranging und sich eines moralischen Rigorismus weitgehend enthielt. Die Militärregierung in Baden-Baden lehnte das Kollektivschuld-Denken ab und ging von der Existenz eines anderen, antifaschistischen Deutschlands aus. Seit Herbst 1945 lag die Durchführung der Entnazifizierung in deutschen Händen; die Militärregierung kontrollierte lediglich die Einhaltung der Bestimmungen. In einem zweistufigen Verfahren wurde versucht, die individuelle politische Schuld der Betroffenen festzustellen. Den Fragebogen mussten nur die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und die Inhaber verantwortlicher Posten im öffentlichen Leben und in der Privatwirtschaft ausfüllen. NS-Aktivisten und andere „gefährliche“ Personen wurden interniert. Dennoch konnte die französische Entnazifizierungspolitik nicht verhindern, dass die Säuberungsmaßnahmen zunehmend unpopulär wurden. Seit der Einrichtung des Spruchkammersystems entstanden auch in der französischen Besatzungszone „Mitläuferfabriken“. Die personelle „Renazifizierung“ revidierte zwar die meisten Säuberungsmaßnahmen der ersten Nachkriegsjahre. Von einem völligen Scheitern der Entnazifizierung kann aber nicht gesprochen werden, da die französische Militärregierung ihr wichtigsten Ziel erreicht hatte: die Schaffung eines demokratischen und friedfertigen Deutschlands.


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