Behinderten-, Kranken- und Säuglingsmorde in Belarus 1941–1944

Belarussisch-deutsches Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Rainer Hudemann und Dr. Alexander Friedman

 

Behinderte und psychisch kranke Menschen sind während des Zweiten Weltkrieges in sehr großer Zahl umgekommen. Sie wurden teilweise Opfer gezielter Mordaktionen der nationalsozialistischen Besatzungskräfte. Die Umstände, unter denen sie überlebten oder zu Tode kamen, waren jedoch weitaus breiter gefächert. Das weißrussisch-deutsche Forschungsprojekt „Kranken- und Behindertenmorde in Weißrussland 1941-1944“ förderte die Gerda Henkel Stiftung an der Universität des Saarlandes während zweieinhalb Jahren 2009-2012 im Rahmen ihres Sonderprogramms zur Förderung des Historiker-Nachwuchses in Russland, der Ukraine, Moldawien und Weißrussland. Die Weiterarbeit und die Fertigstellung wurden weitgehend durch die Universität des Saarlandes finanziert und erfolgten anschließend ehrenamtlich durch Dr. Alexander Friedman und die Forschergruppe. Friedman ist selbst Weißrusse und in zahlreichen osteuropäischen Sprachen beschlagen, er wurde an der UdS unter meiner Betreuung promoviert. Er konzipierte das Projekt und leitete die Forschergruppe aus sechs weißrussischen NachwuchswissenschaftlerInnen, davon vier in Minsk und zwei in Saarbrücken. Für dieses Projekt gewährte die weißrussische Archivverwaltung der Universität des Saarlandes erstmals den breiten Zugang zu den einschlägigen Akten, einschließlich der NKVD-Bestände. Weiterhin hat die Gruppe sowjetische, russische, ukrainische, deutsche und baltische Archivbestände ausgewertet.

Ausgehend von Weißrussland im Krieg, erwies sich im Zuge der Arbeiten rasch, dass das engere Geschehen die Einbeziehung weitaus breiterer Problemstellungen erfordert. Weißrussland, in dem sich insbesondere sowjetische, weißrussische, russische, polnische, jüdische und deutsche Einflüsse verflochten, wurde damit über den Spezialfall hinaus zu einem besonders gut geeigneten Beispiel, um die Folgen des Ersten Weltkrieges, die turbulente Zwischenkriegszeit und die blutige Kriegsepoche 1939 bis 1945 in Osteuropa exemplarisch zu untersuchen. Hier lassen sich in der Forschung bislang wenig beachtete Grundprobleme der Situation von Kranken und Behinderten in der stalinistischen Sowjetunion herausarbeiten.

Die Arbeiten und Kooperationen der Forschergruppe und des von ihr aufgebauten internationalen Netzwerkes bezogen darüber hinaus die weiteren besetzten Gebiete der Sowjetunion ein. Das wissenschaftliche und öffentliche Interesse an „Euthanasie“-Aktionen und ihren jeweiligen Kontexten nimmt seit zwei bis drei Jahren international erneut deutlich zu. Das Projekt will die damit wieder verstärkt anlaufenden Diskussionen bereichern. Eine gezielte Mordpolitik wie in der „Euthanasie“ innerhalb des Reiches und teilweise in Polen 1939/40 hat es in Weißrussland nicht gegeben. In die Mordaktionen waren jedoch sowohl Wehrmacht als auch SS-Einheiten unmittelbar involviert. Nationalsozialistische Ideologie wirkte häufig eher als eine Art Hintergrundfolie: der Schritt zum Mord ließ vielfältige weitere, oft situationsbedingte Faktoren zur Wirkung kommen. Juden und Roma waren besonders rasch und radikal betroffen, die Morde trafen jedoch Behinderte und psychisch Kranke aus allen Bevölkerungsgruppen. Parallelen zu Methoden und Konstellationen der „Euthanasie“ im Reich sind zahlreich, jedoch führte die sich phasenweise stets weiter radikalisierende und extrem fluktuierende Überlagerung der Kriegs- und Besatzungssituationen zu neuen Konstellationen, Mordformen und Todesumständen. Die Detailanalysen fördern damit eine große Spannbreite von Vernetzungen sowohl mit der jeweiligen militärischen Lage als auch mit den vielen Schichten der gesellschaftlichen Situationen von Behinderten und psychisch Kranken zutage, die teils in ältere Zeiten zurückweisen. Sie konnten begrenzten Schutz bieten oder im Gegenteil zur Katastrophe führen: auch solche Ambivalenzen arbeitet das Projekt vielfältig heraus.

 

Publikationen 

 

Alexander Friedman et Rainer Hudemann (dir.), Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte in der Sowjetunion, unter nationalsozialistischer Besatzung und im Ostblock 1917–1991 [Discriminés - exterminés - oubliés. Handicapés en Union soviétique, sous occupation nazie et dans le Bloc de l’Est 1917-1991], Stuttgart (Franz Steiner Verlag), 2016, 563 pp.

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Nicklas, Jasmin, Verlegt ins Ungewisse. Die Evakuierung psychiatrischer Institutionen im deutsch-französischen Grenzraum zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, [MA Universität des Saarlandes 2015], im Druck: Zwiefalten (Verlag Psychiatrie und Geschichte) 2018. 


Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert
Urbanisierungsprozesse in Europa
Französische Besatzung in Deutschland nach 1945
Die Saarregion im 20. Jahrhundert
Grenzüberschreitende Erinnerung
Evakuierungen im deutsch-französischen Grenzgebiet während des Zweiten Weltkrieges
Behinderten-, Kranken- und Säuglingsmorde in Belarus 1941–1944

Wissenschaftskooperation

Forschungsschwerpunkte

Deutschland und Frankreich
Urbanisierungsprozesse
Französische Besatzung
Saarregion
Erinnerungskultur
Evakuierungen
Krankenmorde in Belarus

Fachtagungen

Promotionen und Habilitationen

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